Wasser

„Stille Wasser sind tief“ pflegte Oma zu sagen. Dabei hatte sie nicht immer den gleichen Gesichtsausdruck.

Manchmal zogen sich ihre buschigen Augenbrauen zusammen, so sehr, dass man meinte, sie hätte nur eine Braue. Das Braun ihrer Augen wurde dann noch dunkler. Ihre Lippen schmal aufeinander gepresst.

Ein anderes Mal riss sie die Augen auf, machte sie ganz groß. Die Pupillen, das Braun verlor seine Farbkraft. Es war einfach nur ein Braunton. Die Augenbrauen bogen sich nach oben, wie ein Tor. Dann wurde auch der Mund stärker einbezogen. Ihre Lippen formten ein kleines O. Nicht ganz rund, eher oval. Im Laufe der Jahre war das Rot der Lippen verblasst. Es war ein leichtes Rosa.

Es konnte aber auch geschehen, dass ihr Gesichtsausdruck einfach nur normal blieb.

Die grau-schwarz-melierten Augenbrauen blieben an ihrem angewachsenen Platz. Rahmten das jeweilige Auge im oberen Bereich ein. In der Mitte blieb ein angemessener Platz frei, der regelmäßig akkurat freigezupft wurde. Da war Oma ganz pingelig. Das Braun der Augen hatte seine Leuchtkraft, die rosageformten Lippen lagen weich aufeinander, berührten sich ganz sanft.

Wenn heute irgendwo dieser Satz zu hören oder zu lesen ist, dann gibt es diese Erinnerungen an die Gesichter von Oma.

© Bettina Dennison-Wlodek